Sir Edmund Spenser

1552 – 1599           England

 

In Übersetzungen von

Friedrich Bodenstedt

 

 

Glücklich ihr Blätter, wenn die Lilienhand

Der Hohen, die beherrscht mein ganzes Sein,

Euch hält und schließt euch wie Gefangene ein,

Die vor Dem zittern, der sie überwand.

 

Glücklich, ihr Zeilen, wenn auf euch gewandt

Des schönen Aug’s glutvoller Sonnenschein,

Und ihr die blutige, thränenvolle Pein

Vor ihr enthüllt, die ich durch sie empfand.

 

Glückliche Reime, die sich baden dürfen

In ihren Reizen und Begeistrung schlürfen

Aus ihren Augen – sucht ihr zu gefallen,

 

Die meine Sehnsucht ist, mein Glück vor Allen.

Blätter der Liebe, feiert nur die Eine!

Erfreut ihr sie, so kümmert sonst mich Keine.

 

 

 

Schuf so die Kunst sie oder die Natur,

Daß Stolz und Anmuth ganz in ihr vereint,

Und Beides doch getrennt zu walten scheint,

In dieser ganz vollkommnen Kreatur?

 

Durch ihre zaubervolle Anmuth nur,

Die gänzlich frei von jedem Stolz erscheint,

Reißt sie mich hin – dann naht ihr Stolz als Feind,

Vernichtend aller sündigen Triebe Spur.

 

Ihr Auge übt so wundersame Kunst

Mit einem Blicke nimmt sie mir das Leben,

Um’s mit dem andern mir zurückzugeben.

 

Ein Blick verheißt – ein andrer raubt die Gunst:

So lockt und stößt mich ab ihr ganzes Wesen.

Die Kunst hab’ ich in Büchern nie gelesen!

 

 

 

Wie herrlich ihr die stolze Haltung steht!

Zum Himmel weist die himmlische Geberde,

Doch senkt ihr sinnend Auge sich zur Erde –

Demuth mischt sich in ihr mit Majestät.

 

Denn wie sie blickt zur Erde, drauf sie geht,

Bedenkt sie, daß der Tod auch sie gefährde,

Und was vom Staube kam, zu Staube werde,

Daß auch das Schönste auf der Welt vergeht.

 

Doch scheint der Stolz die demuth zu bezwingen;

Sie fühlt, zum Himmel kann ihr Geiost sich schwingen,

Derweil ihr Fuß den Staub tritt mit Verachtung,

 

Der sie verlockt zu irdischer Betrachtung.

Doch neige Dich zu mir mit Huldgeberden,

Laß Dich herab: - Du sollst erhoben werden!